Bestandsgebäude und
Leerstände nutzen

Jeder Bau, von der kleinsten Hütte bis zum Großprojekt, verbraucht Ressourcen. Das reicht vom nur begrenzt vorhandenem Boden über die Baumaterialien bis zu den Kosten der Errichtung, , des Betriebs und Abbruchs und der notwendigen neuen Infrastrukturen, wie Straßen, Kanalisation oder Stromleitungen . Berücksichtigen muss man dabei auch die „graue Energie“ – also jenen energetischen Aufwand, der für die Herstellung, den Transport, die Lagerung, den Verkauf und auch die Entsorgung der Bauprodukte erforderlich ist. Insgesamt stammt etwa ein Drittel der globalen Treibhausgasemissionen aus dem Gebäudesektor. Das zeigt, welch großes Klimaschutzpotenzial in diesem Bereich liegt.

 

Revitalisierung und Zubau Gemeindeamt Ottensheim, Oberösterreich
Architektur: SUE Architekten

© Hertha Hurnaus

Das Problem

In den letzten Jahrzehnten haben verbesserte Energiestandards, die Ausweitung von erneuerbarer Energie und die kostengünstigere Produktion hochwertiger Bauteile zur Reduktion der CO2-Emissionen beigetragen. Durch die Steigerung der Bautätigkeit in allen Bereichen – vom Wohnen über Büro, Gewebe und Industrie bis zu den dafür erforderlichen Straßen – ist der energetische Endverbrauch im Gebäudesektor heute jedoch höher als 1990 und weit davon entfernt „klimaneutral“ zu sein. Die niedrigen Kosten der Baustoffe sowie der Energie tragen dazu bei, dass damit ein verschwenderischer Umgang betrieben wird. Oftmals ist Neubau rentabler als Umbau und Sanierung und Altbauten werden daher zumeist als Altlasten gesehen. Weder ihr materieller noch ihr ideeller Wert werden erkannt.

Daher muss – sowohl aus ökonomischen und ökologischen als auch aus kulturellen Gründen – ein Umdenken erfolgen und die Sanierung und Umnutzung von Bestand müssen stärker in den Fokus rücken. Erforderlich ist ein radikaler Wandel, der sich nicht darin erschöpfen darf, Bauten energieeffizienter zu machen – das Bauen selbst muss in Frage gestellt werden.

Leerstand gibt es in den unterschiedlichsten Bereichen – leider ohne valide Zahlen. Schätzungen zu Wohnungs-Leerstand (in Wien) unterscheiden sich enorm, von 30.000 bis 100.000  leerstehenden Wohnungen reicht die Bandbreite. Im Gegensatz zur Schweiz und zu einigen deutschen Städten gibt es in Österreich keinen verpflichtenden und einheitlichen Leerstandsmelder. Aber auch Einfamilienhäuser stehen oftmals leer bzw. sind sie vielfach stark unternutzt – wenn etwa nach dem Auszug von Kindern oftmals nur mehr eine Person auf sehr großzügiger Wohnfläche lebt. Ein weiteres Problem – speziell in Tourismusregionen – sind die „kalten Betten“: Zweitwohnsitze in Apartmentblöcken oder sogenannten Chalet-Dörfer, die lediglich einige Wochen im Jahr genutzt werden, die jedoch in Errichtung und Betrieb enorme Kosten verursachen und das Landschaftsbild zudem extrem verunstalten.

Ein aktuell stark steigendes Thema sind leerstehende Handelsimmobilien. Die Veränderungen im Einkaufsverhalten (Stichwort: Onlinehandel) führen sowohl in innerstädtischen Lagen zu einer Verödung insbesondere der Erdgeschoßzonen als auch zum Leerstand von ganzen Shoppingmalls, die zudem mit ihren enormen Parkplatzflächen viel zu viel Boden versiegeln.

Und auch Gewerbeimmobilien stehen immer öfter leer – meist ist ein daneben errichteter Neubau kostengünstiger als eine Nachnutzung.

Die Hauptstraße im steirischen Trofaiach bevor die Belebung der Ortsmitte begonnen wurde.

© nonconform

Baukultur hat Lösungen!

Um Leerstand zu verhindern und die Sanierung des Bestands zu steigern, sind große Anstrengungen notwendig. Aktuell liegt die Sanierungsquote in Österreich bei etwa einem Prozent pro Jahr. Erforderlich im Sinne des Klimaschutzes wäre jedoch eine Quote von mindestens drei (Ziel der Klimastrategie 2007). Dabei geht es nicht nur um Objekte, die unter Denkmal- oder Ensembleschutz stehen oder sich in Schutzzonen befinden, sondern um alltägliche Gebäude, die jedoch sowohl für die kulturelle Identität wichtig sind als auch eine wertvolle materielle Ressource darstellen. An vielen Orten gibt es interessante Beispiele, wie alte Bausubstanz qualitätsvoll saniert oder spannend transformiert wurde, sich mit neuen Nutzungen zu speziellen Orten entwickelt hat und sowohl ökologisch als auch kulturell zu einer Verbesserung beiträgt.

Leider sind diese positiven Beispiele noch nicht in der Breite angekommen. Dazu trägt auch das in Österreich sehr stark verankerte Eigentumsrecht bei. An diesem scheitern etwa Forderungen nach einer Leerstandsabgabe. Eine Lösung zur Verhinderung von (temporärem) Leerstand sind sogenannte Zwischennutzungen. Für eine bestimmte Zeit werden dabei leerstehende Objekte, von kleinen Erdgeschoßlokalen bis zu ganzen Gebäuden, zumeist von Kreativen genutzt. Diese sicherlich individuell oft positive Lösung trägt jedoch vielfach auch dazu bei, dass bestimmte Gebiete „aufgewertet“ werden und damit für die ursprünglich ansässige Bevölkerung nicht mehr leistbar sind.

 

Adaptierung des Gemeindeamts Zwischenwasser, Vorarlberg
Architektur: HEIN architekten

© Kurt Hörbst

Grundlagen für Baukultur schaffen!

Dem spekulativen Leerstand von Häusern – oftmals von ganzen Baublöcken – ist von Seiten der Kommunalpolitik und Stadtplanung kaum beizukommen. Dafür bräuchte es eine bundespolitische Lösung, um die hierzulande kaum eingeschränkten Rechte privater Immobilieneigentümer*innen um gesellschaftliche Pflichten („Eigentum verpflichtet“) zu ergänzen.

Wichtig wäre auch die systematische Erfassung von Altbauten  und Leerständen, eine verstärkte Kommunikation mit den Eigentümer*innen, um den Wert von Bestand verständlich zu machen, sowie finanzielle Unterstützung für Sanierung und Umnutzung durch EU, Bund, Land und Kommunen.

Mit Partner*innen aktiv werden!

Wichtige Partner*innen für diese Bemühungen finden sich auf unterschiedlichen Ebenen: Die Kommunen können im Rahmen der Flächenwidmung die Innenentwicklung forcieren, Bund und Länder können mit Förderungen für Leerstandsnutzung und Sanierungen tätig werden. Dem Denkmalamt sowie entsprechenden Fachabteilungen auf Ebene des Bundes und auch den Institutionen der Architektur- und Baukulturvermittlung kommt eine wichtige Rolle in der Bewusstseinsbildung zu.

 



10.09.2024

Podiumsdiskussion Baukultur im Nationalrat?

Eine Diskussion zu Boden­schutz, Bestands­erhaltung, Baukultur­förderung

Di 10.09.2024, 18:00-20:00
Im Vorfeld der Parlamentswahlen diskutieren Politiker* innen mit Expert*innen zu Boden, Bestand, Baukultur. Diskutieren Sie mit!

Politiker*innen: Lukas Hammer, Grüne; Elke Hanel-Torsch, SPÖ; Johannes Margreiter, Neos; Johannes Schmuckenschlager, ÖVP (angefragt); Philipp Schrangl, FPÖ (angefragt)

Expert*innen: Simon Pories, WWF; Carina Sacher, Allianz für Substanz; Robert Temel, Plattform Baukulturpolitik

Moderation: Franziska Zoidl

Eine Veranstaltung in Kooperation mit dem Architekturzentrum Wien

 

Folder „Österreich ist schön“

Baukulturpolitische Herausforderungen 2024